DiaLogo - der Logopädiepodcast

Mira Lorenzen-Fischer, Katharina Fulle und Maren Wallbaum

Ethik in der Logopädie – Wie gehen wir im digitalen Zeitalter damit um? (Folge 11)

Zu Gast: Cordula Winterholler

20.04.2025 31 min

Zusammenfassung & Show Notes

Zu Gast in der elften Folge des Göttinger Podcasts DiaLogo ist Cordula Winterholler, Logopädin und Lehrbeauftragte am Gesundheitscampus Göttingen.
Wir sprechen über das Thema Ethik in der Logopädie und beleuchten insbesondere den Einfluss der Digitalisierung auf dieses Thema. Wir schauen uns unter anderem an, welche Relevanz das Thema hat und welche Besonderheiten in der Umsetzung im digitalen Therapiealltag beachtet werden müssen.

Shownotes:

C.V. von Cordula Winterholler, M.A. (Netzwerk Schluckstörung):
"... ist Linguistin und Logopädin.
Als Lehrlogopädin baute sie den Fachbereich Dysphagie an der staatlichen Berufsfachschule für Logopädie auf. Sie arbeitet in Bamberg in der logopädischen Praxis Först und Mansaré und in der Praxis von Frau Prof. Schuster. Sie ist Mitbegründerin des Netzwerk Schluckstörung." 

Veröffentlichungen u.a.:
Palliative Logopädie - Band 1: Einführung, Grundlagen, Fallbeispiele
(DOI:10.1007/978-3-658-32270-0)


Du erreichst das DiaLogo-Team per E-Mail: logopaedie.gcg[at]hawk.de
oder über das Feedback-Formular weiter unten. 

Transkript

Introstimme
00:00:04
Dialogo, der Logopädie-Podcast des Gesundheitscampus Göttingen.
Mira Lorenzen-Fischer
00:00:11
Herzlich willkommen beim Göttinger Dialogo. Wir sind Maren und Mira und schauen heute auf das Thema Ethik, insbesondere in der Digitalisierung der Logopädie. Dafür haben wir Cordula Winterholler als Lehrbeauftragte am Gesundheitscampus Göttingen bei uns zu Gast. Hallo Cordula, schön, dass du da bist.
Cordula Winterholler
00:00:28
Hallo liebe Maren und hallo liebe Mira und ich bedanke mich ganz herzlich, dass ihr mich eingeladen habt und dass wir dieses Thema auf dem Tisch haben heute.
Mira Lorenzen-Fischer
00:00:40
Sehr gerne. Cordula, magst du dich einmal kurz vorstellen und erzählen, wer du bist und was du so machst?
Cordula Winterholler
00:00:45
Ja, also ich bin Linguistin in meinem ersten Leben. Ich habe einen Magisterstudiengang noch vor ganz langer Zeit gemacht, also Linguistik, Psychologie und Theaterwissenschaft und hatte dann später die Möglichkeit, die Ausbildung zur Logopädin zu machen. Also alles ganz anders, als man es heute tut. Bin relativ bald zu dem Thema Schluckstörungen gekommen und darüber auch zu Menschen mit neurologisch prokredienten Erkrankungen, also neuromuskuläre Erkrankungen. Dann kam das Thema ALS immer verstärkter und damit hieß es dann, naja, wenn du mit solchen schweren Erkrankungen zu tun hast, dann ist doch bestimmt auch Ethik dein Thema. Ja, also immer wenn es so Richtung Ende des Lebens, lebenslimitierende Erkrankungen geht, heißt es, naja, das ist doch dein Thema. Da grinse ich dann immer und ja und so bin ich auch an den Studiengang in Göttingen gekommen, dass Juliane Leinweber mich mal gefragt hat, magst du nicht bei uns einen Lehrauftrag haben und könnte auch Ethik ein Thema für dich sein?
Mira Lorenzen-Fischer
00:02:03
Cool, spannend also ein anderer Weg, ein nicht typisch rein logopädischer Weg, der dich hierher geführt hat Zuerst würden wir einmal mit der Frage einsteigen, ist Ethik nicht eigentlich nur was für die Wissenschaft? Man kennt es natürlich viel aus der wissenschaftlichen Diskussion. Wie ist deine Meinung dazu?
Cordula Winterholler
00:02:24
Du hast schon gelacht. Und ich denke, das ist die Provokation, die dahinter steht, wenn ich es richtig verstehe. Ja, also wenn wir sagen, okay, Ethik, das ist nur was für die Wissenschaft, das ist nur was für die Forschung, dann denke ich, da stehen auch noch ganz alte Bilder. Also Ethik war sowas zum Thema Elfenbeinturm, ja, universitär, das sind irgendwelche grauen Gelehrten, die sich über irgendwelche Theorien austauschen und das hat mit unserem Leben an sich nichts zu tun. Das hat sich aber deutlich verändert, weil die Herausforderungen in unserem Leben durch einfach so viele Themen, die auf uns zugekommen sind, einfach nochmal einen ganz anderen Stellenwert bekommen hat. Und die Ethik ist letztendlich auch die Wendeltreppe dieses Elfenbeinturms hinuntergegangen. Und aus dem Grund ist es nicht etwas, was wir der Wissenschaft überlassen, sondern Ethik ist ein Teilgebiet der praktischen Philosophie und Ethik beschäftigt sich eben mit dem Thema der Moral und zwar, welche moralischen Vorstellungen gibt es? Ja, welche Prinzipien gibt es? Wie kann ich das auch aus einer reflexiven Haltung und Perspektive sehen? Das ist der wissenschaftliche Anteil daran. Und Moral, das wird so gerne so zusammengesetzt. Ethik ist gleich Moral, das ist es nicht. Moral ist zum Beispiel unsere moralischen Vorstellungen. Also ich kann mir gut vorstellen, dass ihr beide vielleicht andere moralische Vorstellungen habt, dass wir uns im Kern wahrscheinlich treffen, auch gesellschaftlich treffen, aber vielleicht auch Abweichungen haben. Ja, aber das sind meine, das sind unsere persönlichen Werteanker, natürlich gesellschaftlich, biografisch geprägt und die Ethik bietet uns dann eine Möglichkeit, hier eine andere Perspektive einzunehmen und zu gucken, oh, welche Theorien gibt es dazu? Also wie kann ich dieses Thema verfolgen? Warum ist das so? Warum sehe ich einen bestimmten Wert als ganz, ganz wichtig an und jemand anderer nicht? Und wo kommt auch unsere europäische Geschichte letztendlich her? Ja, also wir hatten letztes Jahr, glaube ich, war das das Kantjahr. Ja, und wir Deutschen werden einfach immer, Ethik ist gleich Kant gleichgesetzt in den Diskursen. Ja, und da sind wir schon mittendrin in der Ethik. Aber von daher, ich gehe die Windeltreppe runter zu dir und sage, nee, die Forschung ist es nicht nur, sondern wir brauchen das auch jetzt für unsere Profession innerhalb der Logopädie.
Maren Wallbaum
00:05:20
Kannst du dafür nochmal ein konkretes Beispiel nennen, wo wir das vielleicht im praktischen Alltag benötigen? Also welche Handlungsrichtlinien sind vielleicht ethischer Natur oder ethisch begründet?
Cordula Winterholler
00:05:33
Also die große Frage, die ja immer dahinter steht, ist, was ist das gute Leben oder was soll ich tun? Und immer wenn wir so eine Frage haben, was soll ich tun, dann ist klar, dass wir das Fachliche eigentlich schon abgehakt haben. Ja, und so dieses klassische Dilemma, dass ich vor Entscheidung stehe und ich weiß nicht, ist jetzt das eine gut oder ist das andere gut? Ja, und es zerreißt mich fast, dann weiß ich, hier habe ich ein ethisches Thema, hier stehe ich, hier habe ich einen Wertekonflikt, sei es, dass ich zum Beispiel in dem Thema stehe, Kostaufbau. Und dann heißt es, naja, der Mensch hat eine lebenslimitierende Erkrankung und warum soll er nicht einfach essen, aber er hat ja eine Schluckstörung und fachlich, denke ich, wüsste ich, was zu tun ist, aber dann gibt es noch irgendetwas anderes, was ich vielleicht auch gar nicht in Worte fassen kann, noch nicht in Worte fassen kann Und dann weiß ich, oh, hier gibt es ein Thema zum Thema Ethik, Moral und Werte.
Maren Wallbaum
00:06:52
Das heißt, im Grunde genommen läuft ja dieses Thema Ethik oder sollte zumindest in unserem ganzen praktischen Handeln immer wieder thematisiert werden, um halt auch zu schauen, gibt es hier vielleicht überhaupt einen ethischen Konflikt?
Cordula Winterholler
00:07:04
Verstehe ich das richtig? Ja. Ja, Maren, das ist ein ganz, ganz wichtiger Aspekt, denn Ethik, die fällt nicht vom Himmel, das ist Nummer eins, sie fällt nicht vom Himmel und Nummer zwei ist, sie bietet uns keine Lösung. Also das ist nicht so, ich frage jetzt die Ethik und die Ethik sagt mir jetzt genau, was zu tun ist. Sondern die Ethik, die hilft mir, mich diesem Thema zu nähern, indem ich unterschiedliche Prinzipien zum Beispiel anwende. Und wenn ich sage, sie fällt nicht vom Himmel, dann ist es nicht ein Tool, was ich einsetze. Natürlich kann ich etwas abarbeiten und sagen, ich habe ein Ethical Reasoning, dass ich sage, okay, habe ich fachlich alles abgeprüft, habe ich rechtlich alles abgeprüft, Jetzt bleibt nur noch die Ethik übrig und jetzt nehme ich die Prinzipien zum Beispiel aus der Medizinethik und dann ist das alles fein, sondern ich merke, es hat etwas mit meiner Grundhaltung zu tun und zwar nicht nur mit meiner persönlichen, sondern letztendlich ich bin in der Rolle, dann in meiner professionellen Rolle als Logopädin. Und da muss ich auch fragen, welche ethischen Prinzipien sind denn für uns, sehen wir in unserer Präfession als relevant?
Mira Lorenzen-Fischer
00:08:25
Wenn wir das jetzt auf den logopädischen Praxisalltag beziehen, wie können wir unsere Arbeit denn ethisch reflektieren? Gibt es dort irgendwelche besonderen Fragestellungen, Herangehensweise, wie wir unsere Arbeit prüfen können? Also in der Wissenschaft gibt es ja die Ethikkommission, dann kann ich mir ein Vorhaben diesen Menschen näher bringen und die prüfen das ethisch. Wie ist es in der Praxis? Wie kann man da gut vorgehen?
Cordula Winterholler
00:08:50
Ich überlege jetzt gerade, wie das gehen kann. Also ich nehme jetzt mal ein Thema. Maren hatte ja auch vorhin schon mal nach einem konkreten Thema gefragt. Und dann ist natürlich das Einfache, immer in die Schluckstörung zu gehen und in die lebenslimitierende Variante. Dass man dann sagt, okay, Lebensende, da liegen die Themen quasi so auf der Hand. Und dann könnte ich mich ja auch zurücklehnen und sagen in der Praxis, aber damit habe ich ja auch... gar nichts zu tun. Ich bin im Kindspracherwerb. Ich habe ja da gar nicht diese großen Fragen. Und nehmen wir mal das Thema einer begrenzten Ressource. Und das ist etwas, was wir ja in letzter Zeit alle erleben, dass es Wartelisten gibt in den Praxen. So, jetzt habe ich eine Warteliste und die Warteliste macht mich unruhig. Weil ich eigentlich einen Wert, den ich habe, ist, ich möchte natürlich Menschen so gut wie möglich versorgen. Und ich glaube, das ist ein Wert, den wir in unserer Ausbildung während unseres Studiums auch mitbekommen haben, Dass wir sehr auf den Patienten, auf die Patientin fokussiert sind und auf das Wohlergehen. Okay, jetzt kann ich natürlich eine Entscheidung treffen und kann sagen, boah, ich halte das nicht aus, dann arbeite ich halt einfach länger. Kann ja eine gute Entscheidung sein, moralisch toll. Diese Frau arbeitet sich auf, die macht jetzt die Sprechstunden, die Praxiszeiten bis 20 Uhr, dass auch Berufstätige da noch rankommen. Vielleicht hängen wir gleich noch was in der Früh an und irgendwann geht es mir nicht mehr gut. Meine Gesundheit leidet dazu. Also das scheint, dieser Wert des Guten, was ich als gut empfunden habe, den habe ich, weil er so quasi mit meiner Ausbildungsmilch mitbekommen habe, das wäre vielleicht doch eher dieses Thema einer Überforderung oder immer noch ein bisschen mehr tun. Wenn ich das jetzt automatisiere, fallen wir alle irgendwann vom Stängel und sind für das Gesundheitswesen nicht mehr auch verfügbar, auch für unsere Patienten. Das scheint nicht das Gute zu sein, aber das war für mich das naheliegende Gute. Jetzt könnten wir uns als Team zusammensetzen und sagen, wie können wir eine Warteliste gestalten, dass sie unseren Werten entspricht. Und es ist nicht gut im professionellen Kontext, dass wir alle unsere persönlichen Werte auf den Tisch legen, sondern wir brauchen einen gemeinsamen Denner. Jetzt nehme ich mal die Medizinethik und die Medizinethik hat die vier Prinzipien von Beecham and Childress, auch Georgetown Mantra genannt, weil man es immer und immer wieder in der Medizin eben herbetet. Und dann habe ich das Prinzip der Fürsorge, das Prinzip der Autonomie, das Prinzip der Gerechtigkeit und das Prinzip des Schadens und des Nichtschadens. Dann hätten wir also jetzt schon mal Prinzipien, wir sind mitten in der Ethik und jetzt könnten wir sagen, wie könnten wir unsere Warteliste zum Beispiel gerecht machen. Gestalten. Dann könnten wir uns abarbeiten, was verstehen wir unter Gerechtigkeit, was ist Verteilungsgerechtigkeit. Wir können auch sagen, wie ist das mit dem Schaden und Nichtschaden. Ja, wenn ich die Warteliste anschaue und schaue, wer hat sich alles angemeldet und Schaden versus Nichtschaden, dann können wir in diesen fachlichen Diskurs gehen und ethische Entscheidungen sollten immer auch empirisch belegt sein, dass wir nicht in einer Beliebigkeit bleiben oder eben eine theoretische Fundierung haben. Und dann können wir sagen, okay, wir haben jetzt hier Kinder im Vorschulalter, wir haben ältere Patienten, wir haben Patienten mit lebenslimitierenden Erkrankungen und wir könnten schauen, was sagt denn die Studienlage dazu? Wie ist das? Wann sollte ein Kind therapiert werden? Mit welchem Störungsbild? Und so würden wir uns ethisch diesem Thema der Verteilungsgerechtigkeit auch zu bewegen und hätten eine ganz andere Qualität im Diskurs. Wir könnten auch sagen und sagen, Medizinethik interessiert uns in dem Moment nicht. Wir sagen, Verteilungsgerechtigkeit und Gerechtigkeit, alle bekommen das Gleiche. Wir schmeißen alles in eine Lostrommel und an einem Tag in der Woche wird daraus gelost. Ja, aber da müssten wir uns über das Thema wieder ausdiskutieren und aushandeln. Was verstehen wir unter Gerechtigkeit? Ist es gerecht, wenn ich alle gleich mache, wenn ich sage, alle die Logopädie bekommen, kommen in diesen Topf rein? Ja. Und da merkt ihr schon, da kriegt man Bauchweh. Ich sage, oh Gott, das kann nicht sein. Also ich kann nicht alle gleich machen. Also dieses Raster ist zu groß. Und jetzt müssen wir gucken und sagen, haben wir in der Logopädie auch Äpfel und Birnen und Pfirsiche? Also ich kann das nicht gleich machen. Wir dürfen auch kritisch nachfragen. Haben wir auch logopädischen Schnupfen? Also eventuell auch Störungsbilder, die vielleicht nachrangig bedient werden können. Brauchen wir organisatorisch eventuell einen neuen Zugang, dass wir sagen, wir machen Diagnostikstunden, können vielleicht jemanden in eine Beratungssituation schon mal was an die Hand geben und ihr merkt, wir werden hiermit sehr viel professioneller im Handeln. Als dieses Erste, wo ich gesagt habe, ja, ich bin doch gut und ich mache doch jetzt einfach mehr. Weil es meinem moralischen Kompass hilft.
Maren Wallbaum
00:15:29
Ich merke auch total, dass bei mir gerade ganz viele Gedanken dazu aufploppen, inhaltlicher Natur. Also um so ein paar Beispiele zu nennen, ja, was machen wir denn dann mit dem fünfjährigen Jungen, der einen Sigmatismus hat? Vielleicht jetzt von der Reihenfolge her wahrscheinlich nicht so relevant inhaltlicher Natur, wie wenn wir jetzt eine lebensgefährdende Schluckstörung vergleichen. Wenn wir dann aber vielleicht darüber nachdenken, wie ist das da mit dem Leidensdruck von diesem Patienten beispielsweise. Also diese Vielschichtigkeit gerade der Störungsbilder macht sich natürlich total bemerkbar. Und ich glaube, das, was du beschrieben hast, wir werden dadurch professioneller, merke ich einfach daran, dass ich gerade anfange, wirklich über Störungsbilder nachzudenken. Und dieses, ich mache einfach eine Therapie mehr, ist jetzt ja auch nichts, was nie passiert. Also das habe ich selbst in meinen wenigen Jahren der Berufserfahrung schon mehrfach mitbekommen. Und da kann ich mich sicherlich auch nicht von ausnehmen. Dieser Druck, der einfach da ist, rein moralischer Natur, der wird ja in der prekären Versorgungslage immer stärker. Und dann zu entscheiden, was ist vielleicht wirklich das Relevante und was kann ich aber auch vielleicht leisten. Und das ist etwas, was ich auch mitgenommen habe. Ich kann nur so gut therapieren, wie es meine Kräfte und auch mein Fachwissen hergibt. Es würde niemanden etwas bringen, wenn ich anfange, eine Dysphagie zu therapieren beispielsweise. Da würde es wieder in diesem moralischen Kompass wahrscheinlich eher im Negativen ausschlagen. Ja, vielen Dank für dieses tolle Beispiel. Und ich würde jetzt, auch wenn wir da wahrscheinlich länger einsteigen könnten, mal den Bogen zur Digitalisierung schlagen. Und dadurch bringen wir ja nochmal ein sehr, sehr komplexes Thema rein. Also Ethik in der Digitalisierung sind ja im Grunde genommen zwei sehr, sehr komplexe Themen. Und was müssen wir denn hier bedenken, wenn wir an dieses Themenfeld denken? Verändert sich unsere ethische Sicht oder unsere Handlungsprinzipien oder kann man das eins zu eins vom Analogen ins Digitale übertragen?
Cordula Winterholler
00:17:36
Also du hast völlig recht, dass wir jetzt zwei große Themen miteinander kombinieren, wobei das Thema der Ethik, ich habe ja vorhin gesagt, das fällt nicht vom Himmel, wenn wir. Jetzt in der Ausbildung im Studium mit dem Thema Ethik immer mehr in Kontakt kommen und hoffentlich die Curricula auch mal so weit ausgearbeitet sind, dass Ethik vom ersten Tag an beginnt, weil Ethik sind nicht nur die Prinzipien, die ich jetzt genannt habe, sondern ihr habt ja auch gemerkt, es ist eine Haltung. Wir fragen danach, welches Menschenbild steht denn hinter der Logopädie? Was macht für uns einen Menschen aus? Über all diese großen Themen haben wir uns noch nicht unterhalten, noch nicht gut unterhalten, zumindest im deutschsprachigen Raum. Also das heißt, wir sind da in der Entwicklung und die Ethik kann uns aber jetzt schon helfen, dass wir sagen, wie können wir dann mit Transformationsprozessen gut umgehen, denn die Digitalisierung ist nicht der einzige Transformationsprozess, der da ist. Wir haben das Thema der Nachhaltigkeit, wir haben das Thema KI und es werden mit Sicherheit noch sehr viel mehr Themen kommen. Und wir hatten ein ganz großes Thema, über das wir auch noch nicht gesprochen haben, aber wo sehr viel Ethik dabei war, ist das Thema, wie sind wir mit Corona umgegangen. Also wir haben die Themen und die kommen, die werden immer mehr kommen. Umso wichtiger ist es, dass wir nicht alleingelassen werden mit diesem moralischen Kompass und dass ich jetzt nicht alleine als Logopädin in einer Praxis stehen muss und sagen muss, was für einen Zugang habe ich eigentlich zum Thema Digitalisierung. Nämlich dieses, da stecken ja mehrere Themen dahinter. Also einmal muss ich mich als Anwenderin darauf verlassen, wenn ich digitale Tools verwende, zum Beispiel in der Dokumentation. Dass das alles rechtlich in Ordnung ist und dass die Daten sicher sind. Und schon allein, das ist ja der ethische Zugang, dass ich sage, wie mache ich das gut? Und ich muss mich darauf verlassen können, weil ich das ja nicht mehr nachvollziehen kann. Ob europäische Rechte, ob die gesichert sind, ob der Datenschutz gesichert ist, das funktioniert ja an anderen Stellen. Und ich muss nur einschätzen können, ist das ein seriöser Anbieter. Jetzt haben wir aber auch noch die digitalen Gesundheitsanwendungen, sprich zum Beispiel die Apps. Und wenn ich jetzt meine Haltung habe und sage, mir ist die Beziehung, die kommunikative Beziehung so wertvoll und wichtig, die von Mensch zu Mensch. Mir ist es zum Beispiel ganz arg wichtig, dass der Patient noch Paper and Pencil macht, weil das im Gehirn nochmal andere relevante Strukturen beeinflusst, dass ich dann vielleicht sage, nö, Apps setze ich überhaupt nicht ein. Weil das für mich keine gute Praxis ist. Das wäre so ähnlich, wie vorhin, als ich gesagt habe mit der Warteliste, ich mache viel, viel, viel und falle vom Stängel. Ich kann natürlich auch Studien dazu lesen und kann sagen, da gibt es eine Studie, die ist auch relevant, die hat alles berücksichtigt für die App. Aber trotzdem bin ich nicht davon überzeugt und dass ich jetzt aber in den Diskurs gehen kann und kann sagen, aber an welchem Prinzip mache ich das jetzt fest? Habe ich, mache ich das vielleicht an dem Prinzip der Gerechtigkeit fest, dass diese App noch nicht bezahlt wird oder dass mein Patient, meine Patientin ein Endgerät braucht, aber das überhaupt nicht finanzieren kann? Kreiere ich plötzlich Ungerechtigkeiten also ist das Prinzip einer Solidarität neben Gerechtigkeit auch noch ein wichtiger Wert den wir im Rahmen der Logopädie mitbedenken oder ich begebe mich in einen fachlichen Diskurs Schaden versus Nichtschaden wie schaut das aus, was machen Apps also wie funktionieren Apps, wenn ich das im Kindspracherwerb einsetze. Und das sind Spiele und die schauen toll aus und die machen Spaß. Aber müssen wir uns da nochmal über das Thema Schaden versus Nichtschaden, Vulnerabilität, Hirnentwicklung, müssen wir uns da nochmal anders austauschen und eventuell auch anders positionieren, weil wir in eine Medienentwicklung eingreifen. Wir müssen da sehr kompetent in der Beratung sein. Wir müssen sehr viel mehr wissen, wie funktionieren Spiele, was ist mit Dopamin, mit schnellen Belohnungen, wie greifen wir ein und sofort sind wir wieder mit Hilfe der Ethik auch nochmal in andere Diskurse gekommen.
Mira Lorenzen-Fischer
00:22:57
Wir hatten ja die Frage, welche Rollen haben TherapeutInnen in der Auswahl digitaler Anwendungen für die Therapie? Hast ja schon so ein bisschen beantwortet, dass es eigentlich darum geht, wirklich kritisch zu reflektieren, welche Anwendung kann ich nehmen, aber auch warum kann ich sie nehmen und gibt es überhaupt die Rahmenbedingungen, diese Anwendung einzusetzen oder auch nicht einzusetzen und was für Folgen hat das? Also es ist ein viel, ich sag mal, größerer reflektorischer Aufwand, als nur zu entscheiden, nehme ich oder nehme ich nicht. Also ich muss es ja irgendwie auch kritisch begründen, warum ich das einsetze oder warum ich es für diese Patientin oder diesen Patienten vielleicht auch gerade nicht einsetzen möchte.
Cordula Winterholler
00:23:37
Und das ist der wichtige Punkt, dass ich auch merke, dass ich hier eine Irritation habe. Also, dass ich so leicht verzögert bin bei anderen logopädischen Methoden, die ich so greife, die ich sonst so greife. Ja, da kann ich jetzt sagen, okay, da bin ich jetzt die ganze Zeit einfach mit groß geworden. Das mache ich jetzt immer. Und dann habe ich eine kleine Irritation und die wahrzunehmen, zu sagen, was ist es, was ist es, was mich eventuell hier hindert, zu etwas zu greifen, wo ich vielleicht im Forum Logopädie auch gelesen habe, dass es empfohlen ist, dass es eine Studie dazu gibt. Ja, und was, was ist es? Und wenn ich dann die Möglichkeit habe, nicht zu sagen, ach, das ist vielleicht so ein neumutischer Kram oder ich, ich möchte es gar nicht mehr machen. Das sind ja viele Sachen oder es dauert so lange, bis ich mich eingearbeitet habe. Diese Ressourcen habe ich gar nicht. Dann habe ich die Möglichkeit, mich nochmal zurückzunehmen, zu sagen, okay, das sind jetzt so meine Bedenken, das ist my private thing. Und jetzt überlege ich mal, im Sinne der Medizinethik gehe ich mal auf und überlege, wo habe ich da die meiste Irritation? Und dann kann es sein, dass ich sage, finde ich das gerecht, dass der oder diejenige das bekommt, aber ein anderes Kind würde mir auch einfallen und da gibt es die Ressourcen nicht. Da kann ich darüber nachdenken und mit Kolleginnen und Kollegen in Diskurs kommen. Wenn ich dann das Prinzip mir hernehme und sage, wie schaut das eigentlich aus mit dem Schaden versus Nichtschaden? Ja, wir können ja nicht immer davon ausgehen, dass Logopädie immer gut ist. Also wir müssen ja auch mal überlegen, was sind logopädische Fehler? Darüber haben wir auch noch nicht nachgedacht, ja, aber das ist wichtig. Und wenn ich dann sage, Mensch, könnte ich hier auch schaden? Wo muss ich da genau hinschauen? Dann kann ich aber meinen Impuls, den kann ich wieder in ethische Worte fassen. Ich bekomme keine Lösung, aber ich bekomme eine mögliche Struktur, einen Weg, wo es heißt, Mensch, da kann ich jetzt mal weiterschauen. Könnte es auch schaden? Dann wo muss ich hingucken? Hirnentwicklung. Welche Studien brauche ich dafür? Mit wem muss ich da in den Prozess gehen? gehen. Also es geht immer um dieses Thema einer moralischen Irritierung. Aber wir haben auch moralische Verletzungen, über die haben wir noch nicht gesprochen. Und auch die gilt es in Worte zu fassen. Wie geht es uns denn eigentlich, und wir haben viel moralische Verletzungen im praktischen Alltag, wenn wir engagiert, motiviert und hochprofessionell im Kindspracherwerb beim Kind sind und es wird aus Budgetgründen entschlossen, dieses Kind bekommt keine Verordnung mehr. Das sind moralische Verletzungen. Und diese moralische Verletzungen führen eventuell auch dazu, dass Fehlversorgungen stattfinden, dass man Kinder auch ablehnt, weil sie bei einem bestimmten Kinderarzt, bei einer bestimmten Kinderärztin sind. Ja. Weil man weiß, das ist mir da schon passiert. Also wir sind permanent von ethischen Irritationen und auch ethischen Verletzungen umgeben.
Mira Lorenzen-Fischer
00:27:04
Ja, ich merke, dass das Thema echt riesig ist und dass wir gar nicht so viel Zeit haben, um alle unter Themen irgendwie einzusteigen. Aber vielleicht schauen wir, dass wir einfach irgendwann nochmal eine weitere Folge zu dem Thema machen, wo wir tiefer einsteigen können. Gerade auch in die moralischen Verletzungen, glaube ich. Das ist etwas, was viele Menschen in der Praxis betrifft, dass man da vielleicht nochmal schaut, wie kann man damit umgehen. Aber unsere Zeit neigt sich schon etwas dem Ende. Deswegen würde ich gerne, unsere abschließende Frage einmal an dich geben, liebe Cordula. Wenn du einen Wunsch zu diesem Thema frei hättest, Ethik, Digitalisierung in der Logopädie, welcher wäre das?
Cordula Winterholler
00:27:45
Mein Wunsch ist, die Themen nicht auseinanderzudenken und dass wir die Ethik wirklich, dass wir uns hier wirklich auf den Weg machen von Anfang an der Ausbildung, dass wir ein gutes Curriculum entwickeln und nicht eine Diversität haben. Und dann schaffen wir es mit diesen großen Herausforderungen der Digitalisierung und all den Themen, die auf uns zukommen, gut umzugehen und dass wir dabei auch gesund bleiben können.
Mira Lorenzen-Fischer
00:28:18
Das ist ein schöner Wunsch, den würde ich gerne so mitnehmen und unterschreiben. Wir haben heute echt über viele verschiedene spannende Punkte gesprochen. Und für mich nehme ich auf jeden Fall mit, dass Thema Ethik mehr in die Ausbildung oder wie auch immer die stattfindet, hochschulisch, fachschulisch integriert werden sollte, dass eben die Logopädinnen und Logopäden in der Praxis, ich sage mal, mehr Handwerkszeug an die Hand bekommen, um nicht nur zu entscheiden, ich möchte das jetzt nicht, sondern das vielleicht auch kritisch zu reflektieren aus moralisch-ethischer Sicht, aus anderen Sichtweisen, die du heute alle angesprochen hast, dass wir als Profession dort vielleicht auch uns handlungsfähiger fühlen in der Entscheidungsfindung, sei es für die Digitalisierung oder auch den allgemeinen therapeutischen Alltag. Wir haben ja über die Warteliste gesprochen, was ja ein Thema ist, was, glaube ich, alle irgendwie betrifft. Und deswegen möchte ich mich ganz herzlich bedanken, Cordula, dass du uns den kurzen und schnellen Einblick in die Ethik gegeben hast. Und vielleicht schaffen wir da nochmal irgendwann tiefer einzusteigen. Danke, dass du da warst.
Cordula Winterholler
00:29:20
Ja, herzlichen Dank auch von mir und auch für die vielen Fragen, weil das ist so wertvoll. Fragen bringen uns weiter. Habt einen schönen Tag, ihr und ihr da draußen.
Mira Lorenzen-Fischer
00:29:33
In der nächsten folge geht es erneut um künstliche intelligenz da möchten wir gerne eine doppel folge aufzeichnen zu dem thema in vorbereitung auf den dbl kongress im mai und da freuen wir uns auch schon auf vertiefte einblicke das war es auch schon wieder mit dem göttinger dialog vielen dank fürs zuhören und wenn ihr fragen anregungen zu dem thema oder auch weitere ideen habt, die wir mal aufgreifen sollen, dann schreibt sie uns gerne per Mail. Die Kontaktdaten und weitere Informationen über das Thema, was wir heute mit Cordula besprochen haben, könnt ihr in den Shownotes nachlesen. Wir hoffen, dass euch die heutige Folge gefallen hat und ihr beim nächsten Mal auch wieder mit dabei seid. Ob wir uns schon auf die nächste Folge und viele weitere spannende Themen freuen, na logo.
Outrostimme
00:30:23
Das war Dialogo, der Logopädie-Podcast des Gesundheitscampus Göttingen. Eine Kooperation der HAWK, Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst, Hildesheim-Holzminden-Göttingen und der UMG Universitätsmedizin Göttingen.

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